Der Wolf, die Sau und das Omchen

Leseprobe aus: Ermland-Blues – von Hurenkindern, einem katholischen Priester, einer Kräuterhexe und einer erträumten Heimat.

Wenn sich des Abends der Rest der einstmals stolzen und großen Familie am Küchentisch traf, blühte das Omchen auf und brachte uns gar manches Mal zum Lachen. Oder auch zum Gruseln, so daß wir nicht allein in unsere Strohbetten kriechen mochten.
Kamen die sächsischen Winter über uns oder das, was die Einheimischen für Winter hielten, saßen wir am Küchenherd und das Omchen erzählte von den ostpreußischen Wintern.

„Ihr Luntrusse “, rief sie, „ihr wißt ja nicht, wie Winter ist. Nahm einen von uns in ihre Arme und drückte ihn an ihr Herz. Sie ging zum Fenster, hauchte ein Guckloch in die Eisblumen und sah vielleicht noch die letzten Reste des Abendrots.
Da stand sie, hielt sich an den Quersprossen des Fensters fest und starrte unverwandt in die Landschaft, grad so, als würde auch sie eine lange rückwärtsgewandte Reise unternehmen.

Und wir hörten von Wölfen. Wölfe, die im Winter ums Haus geschlichen seien und vor denen man sich in acht zu nehmen hatte, weil kleine Kinder, die nicht artig waren, die Lieblingsspeise der Wölfe gewesen seien. Und wie sie so graulich geheult haben, die Wölfe, daß es ihr noch jetzt beschauern würde.
„Vom Fenster aus konnte man sie sehen, wie sie im fahlen Mondlicht ums Haus schlichen. Sogar durch die Scheiben haben sie hereingeschaut und versucht, mit ihren schrecklichen Wolfstatzen das Glas einzudrücken. Und wer in ihre Augen schaute, der war wie gelähmt, dem fiel der Becher mit dem Holundertee aus der Hand. Der konnte sich nicht rühren, solange diese wilden Tiere hereinschauten.
Solch Aaskreet waren das.“
Oder sie erzählte uns von der verendeten Sau, die der Ahne mit Nachbars Hilfe kurz vor Beginn der Dunkelheit hinter den Stall gezogen und mit Stroh abgedeckt hatte.
„Stellt euch vor“, sagte sie, nun fast im Flüsterton, „am nächsten Morgen war die Sau verschwunden.“ Und wir hörten, daß das fast zweihundert Kilogramm schwere Tier von den Wölfen siebzig Meter weit in den Wald gezerrt worden sei. Und da sei sie ratzekahl aufgefressen worden, die Sau.
„Solche Beeskreet waren das“, rief sie. Um nach einer Weile des Schweigens in ihrer Erzählung fortzufahren.
Bis zur Dachtraufe habe der Schnee gelegen und daß der Ohm jeden Morgen erst den Weg vom Haus zum Lokus freischaufeln mußte.
„Ach nei, ach nei“, seufzte sie, „das waren noch Winter. Damals, als wir noch alle zusammen waren“. Und ganz leise, kaum vernehmbar „in der Heimat“ hinzufügte. Wenn man genau hinsah, konnte man sehen, wie ihre Schultern zuckten und sie sich schnell mit einem Schürzenzipfel über die Augen wischte. Das war der Augenblick, in dem der Ahne sich räusperte, mit den Puschen scharrte und seine Rosalia fragte, ob sie ihm nicht seinen Herbata, seinen Tee, brühen wolle.

Das Buch: Ermland-Blues können Sie in jeder Buchhandlung bestellen oder direkt beim Sichtweise-Verlag, zum  TB 215 Seiten  – Preis von 11.90 €
ISBN978-3-938830-14-7

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