Ermland, ein Reisetip

Brief an eine Person, die eine Gruppenreise ins ehemalige Ostpreußen machen will und zwar in den Teil, der jetzt zu Polen gehört.

Liebe…
Offensichtlich wird das Ihre erste Reise in diese Region. Der Anfang mit einer Reisegruppe, wenngleich ich kein Freund von Gruppen bin, ist prima.
Vermutlich werden Sie von dieser Landschaft angesteckt. Daher sollten Sie für weitere Besuche an alternative Fortbewegungsmittel denken, wie z. B. Fahrten mit dem Auto, oder mit dem Fahrrad.

Die Bus-Tourenplaner grasen in der Regel nur die allseits bekannten Orte und Gegenden ab. Meine Empfehlung, machen Sie einen Bogen um Rastenburg und die Wolfsschanze. Wir haben unsere Kragen hochgestellt und sind zügig daran vorbeigefahren. Was gibt es da schon zu sehen? Gruseln kann man sich besser in jeder Geisterbahn. Und billiger ist es da auch. Ich glaube nicht, daß die Touristen sich klar darüber sind, daß sie dem Gröfaz noch posthumen ihre Ehre erweisen.

Heiligelinde, das ist nur die Wallfahrtskirche. Damals eine katholische Provokation im evangelischen Masuren. Wenn Sie Massen mögen, dann werden Sie sich in Heiligelinde wohlfühlen, besonders an christlichen Feiertagen oder in der Saison, wenn Pilger strömen.
Wir haben diesen Platz im Herbst besucht. Ganz einsam. Na ja fast. Die Patres nahmen sich viel Zeit für ein Schwätzchen, sogar in Deutsch.

Was nach Danzig wollen Sie auch?
Danzig kenn ich nicht. Die Altstadt, soll ein »Potemkinsches Dorf« sein, hörte ich, sowie Celle oder Rothenburg. Originale oder nachgebaute Fassaden hinter denen das 20. Jahrhundert versteckt wird. Manchmal wohl noch mit dem Klo auf halber Treppe, inklusive »Goldeimer«, aber vielleicht denk ich mir das nur aus. Sie können mir ja später Ihre Erfahrungen mitteilen.
Übrigens wußten Sie, daß das Leibnizhaus in Hannover auch so ein fake ist?
Das Haus, in dem Leibniz gerechnet und gelebt hat stand in der Schmiedestrasse, im WKII zerbombt. In der Jetztzeit am Holzmarkt
in den Jahren 1981 bis 1983 mit nachgebildete Renaissance-Fassade wieder aufgebaut. Dafür wurde in der Altstadt ein unter Denkmalschutz stehendes Gründerzeithaus abgerissen.

Nikolaiken ein verkommenes Touristen-Nest, das vom deutschen Mythos, ein unbedingt sehenswerter Ort zu sein, lebt.

Haben Sie einen Tag zur freien Verfügung und das Wetter spielt mit, dann empfehle ich Ihnen eine Kanupartie auf der Kruttinna. Sie sollten allerdings das Wochenende meiden. Grölende oder betrunkene Kanuten mit Bierdosen könnten Ihnen die Freude nehmen.
Pension Nosek in Kruttinnen vermittelt sowohl Kajakfahrten als auch für Gruppen gestakte Bootsfahrten.
Wir fahren immer durchs ganze Dorf und nehmen einen Vermieter am Ende auf der rechten Seite. Freundliche Leute, die auch bißchen was deutsch reden können.
Einen großen Parkplatz haben die auch.
Gleich hinter der Wiese führt ein Weg zur Kruttinna, zu einen kleinen Steg. Man kann sitzen und die Beine baumeln lassen oder baden.

http://www.boehmen-reisen.de/Webgalerien/Masuren/index.html
http://www.taz.de/4/reise/europa/polen/begegnungen-am-gruenen-fluss/
http://www.reiseführer.biz/polen-krutyn-ukta-kanutour-paddeltour-bootsfahrt-kanufahrt-polen-masurische-seenplatte.html
http://www.das-polen-magazin.de/krutynia-paddeltour-masuren/

Unbedingt vormerken:
Kleines Privatmuseum bei Christel in Dickty
Sadry 3, Ortsteil Sadry an der Autostrasse Nr. 16, 11 – 700 Mr?gowo
http://www.mazury.com.pl/turystyka/christel/index.htm

Hier können sie ein original masurisches Holzhaus sehen. Die Einrichtung und die persönlichen Gegenstände gehörten den Vorfahren von Christel.
Eigentlich fehlen da nur die alten Leute. Prima Hefekuchen kann die Christel backen und erzählen, daß es meecht kein Ende mehr nehmen.

Wenn schon Mücken sind, dann kaufen Sie vor Ort »Off! Delicate.« Ist wie eine Milchemulsion. Damit eingeschmiert konnten wir sogar ungestört Pilze sammeln.
Ein Kompaß kann gute Dienste tun, damit es Ihnen nicht so wie mir ergeht: Verlaufen im Wald bis kurz vor Panik.

Versuchen Sie unvoreingenommen Land und Leute zu sehen. Ich lerne das wohl nicht. Ulla Lachauer hat meine Gefühle etwa so beschrieben: Dieses Land kann ich nicht wie ein normaler Tourist besuchen. Immer ist die Bereitschaft da zu vergleichen zwischen heute und früher. Sind das noch Häuser aus deutscher Zeit? »Schau mal die polnische Wirtschaft«: meint Höfe die so verdreckt sind, wie man sich das kaum vorstellen kann. Und dann die ganzen brachen Felder, war doch mal die Kornkammer des deutschen Reiches.
Während meiner ersten Reise ab Frankfurt Oder ging es mir nur immer im Kopf herum: Wo sind all die Deutschen geblieben, die hier vor 1945 gelebt hatten. Da bekam die ganze Katastrophe um den deutschen Exodus eine ganz andere Dimension für mich. Was sind schon 2 Millionen? Eine abstrakte Zahl, mehr nicht.

Doch jetzt, nach der Aufnahme in die EU ändert sich in Polen alles in einem unheimlichen Tempo.
Spekulanten kaufen ganze Landstriche -vorwiegend an Seen auf, lassen die Felder brachliegen und kassieren von der EU auch noch Stillegungsprämie.
Folge: Dort wo früher die Seeufer frei zugänglich waren, finden sie heute Zäune und Schilder die Ihnen das Betreten verbieten.
Alte Alleen werden gefällt um Straßen verbreitern zu können. Die EU bezahlt es.
Der soziale Zusammenhalt in den Dörfern nimmt mehr und mehr ab. Die Jungen fahren nach England, Irland, Holland oder Frankreich, weil es dort mehr zu verdienen gibt.
Meine Verwandten machen das auch so. Er fährt 3-4 Monate nach Holland. Wenn er zurück kommt, dann fährt sie. Die Kinder haben sich ganz in Holland angesiedelt. So werden wir in absehbarer Zeit durch Dörfer fahren in denen überwiegend Greise hausen.

Trotz vielerlei Kritik. Ich fahre gerne hin, ist fast wie meine Wunschheimat. Ein Einheimischer hat mal spaßeshalber zu mir gesagt: Wenn Du 10 x das Ermland besucht hast, dann wirst du zu einem ermländischen Ehrenbürger mit Wahlrecht ernannt.

Verzeihen Sie, ich hab wohl zuviel geredet, aber das Ermland geht mir unter die Haut, wie ein Blues.

Liebe Grüße von mir
Hans B.

 

 

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